Hanne Darboven - 4. Kunstflâneur 2024

Einer der Orte der Technischen Universität Hamburg in Harburg ist der weitläufige Schwarzenberg-Campus mit seinen 15 Gebäuden, die alphanumerisch sortiert sind. Auf meinem Weg zum Gebäude M flanierte ich nicht nur an einem kleinen Teich und zahlreichen Bauten vorbei, sondern auch an Schautafeln, die „Servo-Constraints“, „Trajektorenregelung“ oder „plastische Poissonzahl von NPG“ erklären sollten. Leider habe ich nichts verstanden.

Ebenso schwer zugänglich sind für mich die Arbeiten von Hanne Darboven (1941-2009), deren Installation „Wende 80“ als Kunst-am-Bau für den Neubau des Campus 1980 erworben und ein paar Jahre später im Foyer des Gebäudes M von der Künstlerin installierte wurde. Das Werk ist ihre erste musikalische Partitur und besteht aus 416 einheitlich großen, schwarzen Din A4-Rahmen mit Bildern, Texten und Noten. Ebenfalls ausgestellt sind eine Publikation mit sämtlichen Abbildungen sowie die Schallplatten des Musikstücks, das über Kopfhörer hörbar ist.

Auf diesen einzelnen Bildern des Kunstwerks sind unter anderem Ansichtskarten von Harburg, Kopien des SPIEGEL-Interviews von 1980 zur Kanzlerfrage mit Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß (seine Passagen sind geschwärzt) oder Noten abgebildet. In „Wende 80“ setzt Hanne Darboven erstmalig Zeitrechnung in Musik um und verwandelt Zahlenreihen nach ihren eigenen Codes in Tonreihen. Damit bringt die Konzeptkünstlerin historische Daten in abstrakte mathematische Zusammenhänge, um Zeit sichtbar zu machen. Sie nennt es „mathematische Musik“. So wird diese besondere politische Zeit der Bundesrepublik in eine musikalische Partitur für sechs Opera übersetzt, die, vom Cembalo gespielt, tatsächlich elf Langspielplatten füllt.

Hanne Darboven studierte Anfang der 60er Jahre an der HFBK Hamburg und lebte 1966-68 in New York, wo sie die neuen Kunstströmung Minimal Art und Concept Art kennenlernte und mit Sol LeWitt, dem Gründer der Concept Art, befreundet war. 1969 zog sie nach Hamburg zurück und lebte bis zu ihrem Tod in Harburg. Neben zahlreichen documenta-Teilnahmen repräsentierte sie Deutschland 1982 auf der Biennale von Venedig und erhielt zudem beide renommierten Hamburger Kunstpreise. 1985 den Edwin-Scharff-Preis und 1992 den Lichtwark-Preis.

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