Ian Hamilton Finlay - 1. Kunstflâneur 2023
Vor einigen Tagen war ich in der Hamburger Kunsthalle und musste über ein Schild schmunzeln: „Achtung, dies ist ein Kunstwerk. Die Stufen sind höher als Sie denken“. Es ist an dem roten Granitsockel zwischen der Kunsthalle und der Galerie der Gegenwart befestigt, der Teil des Werkes „Proposal For A Kunsthalle“ des schottischen Künstlers Ian Hamilton Finlay (1925-2006) ist.
Auf dem Plateau entlang der Ränder sind 50 Zentimeter große Buchstaben aus grauem Granit in den rötlichen Boden eingelassen. Es sind Inschriften auf Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch, die jeweils den Satz des französischen Revolutionärs Louis-Antoine Saint-Just benennen: „Die Heimat ist nicht das Land, sie ist die Gemeinschaft der Gefühle“. Doch stehen die Sätze nicht in den jeweiligen Nationalsprachen vollständig nebeneinander, sondern Haupt- und Nebensatz sind jeweils voneinander getrennt und liegen diagonal gegenüber, sodass der Platz überschritten werden muss, um den vollständigen Satz lesen zu können. Die These wird dadurch vielstimmig und nicht exklusiv einer Nation oder Sprache vorbehalten.
Ian Hamilton Finlay war nicht nur bildender Künstler - er wurde auch für den renommierten Turner Prize nominiert -, sondern begann seine künstlerische Laufbahn als Lyriker. Die langjährige Beschäftigung mit Poesie, in der die bestimmte Präsentationsform eines Textes eine wichtige Rolle spielt, findet sich auch in den Arbeiten seines bildnerischen Werkes wieder.